Lebenslauf
Alois Grimm
1918 – 1995
Ein Leben für seine geliebte Heimatstadt
Orientiert an Ernst Holleber‘s Aufsatz in: „Aschaffenburger Jahrbuch 1995 Band 18 Seite 286 bis 293“.
Alois Grimm galt zu seiner Zeit als Autorität auf dem Gebiet der Aschaffenburger Stadtgeschichte. Sein umfangreiches Wissen war bei allen einschlägigen Gelegenheiten gefragt. Er war in Fachkreisen weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus bekannt. Sein hohes Ansehen verdeutlicht die Stiftung einer Bronzeplakette durch den Verleger Dr. Wilhelm Engelhardt, die noch zu seinen Lebzeiten in der Jesuitenkirche angebracht wurde Sie erinnert an seine Verdienste um die Heimatstadt Aschaffenburg.
Sein Geburtstag, der 3. Februar 1918, besagt, dass er in eine schwere und an Ereignissen bedeutsame Zeit hineingeboren wurde. Die Kindheit prägten der verlorene Erste Weltkrieg und die darauf folgende Wirtschaftskrise. Die Eltern wohnten mit den vier Kindern im Aschaffenburger Fischerviertel. Der Main, die Fischerei und der Hafenbetrieb waren die Themen, wenn Alois Grimm von seinen Kindertagen erzählte. Mit sechs Jahren besuchte er die Luitpoldschule. 1928 wechselte er in die Oberrealschule in der Alexandrastraße über; nach der neunten Klasse erhielt er im Frühjahr 1937 das Abiturzeugnis.
Die Atempause nach dem Abitur muss recht kurz gewesen sein, denn bereits am 3. April finden wir den Neunzehnjährigen als Arbeitsmann beim Reichsarbeitsdienst in Gießen – bis 23. September – und noch im selben Jahr, am 3. Oktober, beginnt der Wehrdienst. Alois rückt nach Würzburg ein, in die Hindenburg-Kaserne in der Zellerau, zur schweren Heeresartillerie. Dort wird er als Richtkanonier ausgebildet.
In diesen Zeitabschnitt fallen der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 und die Eingliederung des Sudetenlandes im September des gleichen Jahres. Die Artillerieabteilung aus Würzburg ist an beiden Einsätzen beteiligt.
Am 1. September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg; bei Alois Grimm geht der Wehrdienst nahtlos in den Kriegsdienst über. Die Artillerie-Einheit wird an die Westfront verlegt. Im Mai 1940 läuft der Feldzug im Westen an. Die Kampfhandlungen führen Grimm weit in den Süden Frankreichs.
Im März 1941 wird die Artillerie-Abteilung nach Pommern verladen, und am 22. Juni marschiert die Deutsche Wehrmacht in Russland ein. Alois Grimm gehört zu den Truppenteilen, die im Dezember 1941 vor Moskau stehen, und vom russischen Winter überrascht, unter schweren Verlusten den Rückzug antreten müssen. 1942 wird der junge Soldat an der Ostfront schwer verwundet; das linke Auge ist nicht mehr zu retten, ein schwerer Schicksalsschlag.
Wieder zum Kriegsdienst aktiviert, gerät Oberleutnant Alois Grimm zu Kriegsende in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach der Entlassung nimmt er so bald wie möglich sein Architekturstudium wieder auf. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche Skizzen und Bleistiftskizzen von unserer zerstörten Stadt, die sein zeichnerisches Talent beweisen. 1949 legte er die Diplomhauptprüfung an der Technischen Hochschule Darmstadt ab. Die Diplomarbeit ist noch erhalten und im Hause Sodener Straße 55 in Aschaffenburg einsehbar.
Noch im selben Jahr, 1949, wird in Aschaffenburg das Architekturbüro Grimm und Schmitt, Büro für Hoch-, Tief- und Ingenieurbau, gegründet. Partner ist Dipl.Ing. Anton Schmitt. In dieser Zeit der Hoffnung und des Aufbruchs plant der junge Architekt neue Wohngebiete, zahlreiche Wohnhäuser, gewerbliche Gebäude, Schulen und Gotteshäuser. Beispielhaft sei hier die Kirche St.Kilian in Nilkheim genannt, der seine besondere Hingabe galt, Das einfache, rechteckige Kirchenschiff und der freistehende Turm sind aus Sandsteinen in angenehmen wechselnden Rot- und Ockertönen erbaut. Das Innere des Kirchenraumes ist schlicht, fast karg, der Chor eingezogen, hinter dem Altar ein wandfüllendes Mosaik. Diese Kirche verkörpert besser als alle anderen Werke das Wesen und die Lebensauffassung des Architekten Alois Grimm. Bemerkenswert ist auch, dass die Bruchsteine der zerstörten Synagoge am Wolfstalplatz insbesondere im Kirchturm wieder eine sakrale Bestimmung erhielten.
Mit dem 1. Januar 1954 gab Alois Grimm seine freischaffende Tätigkeit auf und wechselte zur städtischen Bauverwaltung. Hier erwartete ihn, nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, ein gewaltiges Aufgabengebiet. Von den zahlreichen Projekten, an denen der Baurat Alois Grimm federführend mitgewirkt hat, können nur einige aufgezählt werden. So entstanden unter seiner Leitung die Grünewaldschule im Osten der Stadt, die Dalbergschule im Stadtteil Damm, die Pestalozzischule in Schweinheim, die Kindergärten in Nilkheim und an der Hefner-Alteneck-Straße.
Auch heute noch stellt man mit Bewunderung fest, wie unauffällig diese oft bedeutenden Baumassen in ihre Umgebung eingefügt wurden, wie gut die Proportionen der einzelnen Baukörper aufeinander abgestimmt, wie angenehm die Fassaden gegliedert sind; liebevoll das handwerkliche Detail und die begrünten Höfe. Nie wurde in dieser armen, noch vor dem „Wirtschaftswunder“ liegenden Zeit auf die Mitwirkung der bildenden Künstler verzichtet!
Die Gestaltung der Friedhöfe gehörte ebenfalls zum Aufgabenbereich des Hochbauamtes, dessen Leiter Alois Grimm geworden war. Der Waldfriedhof in Verlängerung des Landschaftsparks Schönbusch, nach dem Krieg entsprechend den neuesten Gesichtspunkten der Friedhofsplanung angelegt, wurde Ziel vieler Fachleute. Im Norden der Stadt entstand ein Friedhof für den neuen Stadtteil Strietwald. Die Friedhöfe in Damm, leider und Schweinheim reichten nicht mehr aus und konnten behutsam erweitert werden. Auch bei städtebaulichen Aufgaben wirkte Alois Grimm mit, oder er wurde um seinen Rat gefragt.
Ganz in seinem Element fühlte er sich bei allen Aufgaben der Denkmalpflege. Auch auf diesem Gebiet können nur einige wenige Beispiele seiner Tätigkeit angeführt werden. Bei der Beseitigung der Kriegsschäden an der Stiftsbasilika war er ebenso beteiligt wie an der Instandsetzung und Sanierung des Stiftsmuseums, für dessen Baugeschichte er wichtige Beiträge liefern konnte. Der Wiederaufbau der Muttergotteskirche, der ältesten Pfarrkirche unserer Stadt, lag ihm besonders am Herzen. Die Rekonstruktion des zerstörten barocken Baldachinaltars ist sein Verdienst. Der Aufbau des stark beschädigten Schönborner Hofes und der spätere Umbau als Stadt- und Stiftsarchiv lagen in seinen Händen; das angrenzende Storchennest mit dem wertvollen Renaissancegiebel wurde fachgerecht saniert.
Nach dem Erwerb durch die Stadt Aschaffenburg leitete Baudirektor Alois Grimm den Ausbau der Jesuitenkirche mit der Rekonstruktion des Innenstucks. Im anschließenden ehemaligen Jesuitenkolleg konnte durch ergänzende Um- und Anbauten die Fachoberschule untergebracht werden. Es entstand der stille Arkadenhof, in dem während der Sommermonate gutbesuchte Konzerte stattfinden.
Der frühere Marstall gelangte in städtisches Eigentum. Nach Grimms Entwürfen wurden die Gebäude restauriert und für die Bedürfnisse der Fachschule für Steinmetzen und Steinbildhauer umgebaut. Schließlich soll noch genannt werden der Wiederaufbau der Alten Münze hinter dem Rathaus, mit schönem Schmuckhof zwischen den Seitenflügeln und dem Terrassengarten, der bis hinunter in den Löhergraben reicht.
1980 ging Alois Grimm in den verdienten Ruhestand. Er hatte jedoch keinesfalls vor, sich zur Ruhe zu setzen. Schon während seines Architekturstudiums in Darmstadt hatte er sich – unter dem Einfluss des hochverehrten Lehrers Professor Karl Gruber – mit Baugeschichte seiner Heimatstadt beschäftigt.
In den Trümmern des fast völlig zerstörten Fischerviertels fertigte Grimm, versehen mit dem nötigen Fachwissen, die Skizzen mit formalen und konstruktiven Details, nach welchen unter anderem später das anschauliche Altstadtmodell entstand, das heute im Schloss Museum zu finden ist. Ein weiteres Modell zeigt einen Ausschnitt aus dem Fischerviertel, der alten Heimat von Alois Grimm. Dieses – bislang der Öffentlichkeit vorenthaltene Modell – kann in der Sodener Straße 55 besichtigt werden (in diesem Haus lagern unglaublich viele Zeugnisse und unbekannte Werke von und über Alois Grimm). Inzwischen schreibt das Haus im Stadtteil Schweinheim selber eine höchst interessante Häusergeschichte.
Die ersten Rekonstruktionszeichnungen vom Mainviertel, aus der Vogelschau gesehen und verschiedenen Epochen entstammend, sind bereits 1948 datiert.
Angeregt und ermuntert durch Dr. Willibald Fischer, dem damaligen Leiter des Stadt- und Stiftsarchivs, dehnte Alois Grimm seine Bauaufnahmen auf die gesamte Oberstadt, und schließlich auf jenen Teil der Stadt aus, der ehemals ummauert war.
Die zeichnerischen und beschreibenden Bauaufnahmen vor Ort wurden durch zeitraubenden Studien von Hausakten und anderen Urkunden aus Stadt-, Stifts- und Staatsarchiven ergänzt und untermauert. Diese Jahrzehnte währende Forschungsarbeit fand in den ersten Jahren nach der Pensionierung einen gewissen Abschluss. Aufzeichnungen und Notizen, nach Straßen und Hausnummern geordnet, hatten dicke Mappen gefüllt. 1985 erschien als Veröffentlichung des Geschichts- und Kunstvereins, Band 27, mit finanzieller Unterstützung der Stadt Aschaffenburg der erste Band der Reihe „Aschaffenburger Häuserbuch“. Eine glückliche Zeit für den Autor!
Alois Grimm signiert am 27. Juni 1985 sein erstes Häuserbuch
Dieser erste Band beinhaltet die Dalbergstraße auf beiden Seiten, die Oberstadt südlich davon und das Fischerviertel. Der zweite Band, erschien als Band 34 der Schriftenreihe des Geschichts- und Kunstvereins 1991, behandelt die restliche Oberstadt einschließlich Schloss, Mainseite und Löherstraße.
Die verzögerte Herausgabe des zweiten Bandes hatte einen tragischen Hintergrund. Alois Grimm, der ja durch Kriegsverletzung ein Auge verloren hatte, sah sich plötzlich einer bösartigen Krankheit ausgeliefert, die ihm die Sehkraft des verbliebenen Auges mehr und mehr nahm und die letztlich zu seinem völligen Erblinden führen sollte. Alois Grimm, für den der „klare Blick“ lebensnotwendig war, konnte nun nicht mehr zeichnen. Doch mit seiner ungeheuren Energie brachte er es fertig, sein Werk nahezu zu vollenden. Sein Wissen und sein Erinnerungsvermögen blieben unbeeinträchtigt, und so formulierte er mit Hilfe enger „Mitstreiter“, die ihm Quellen, Sekundärliteratur und seine Notizen und Texte vorlasen. Durch die Unterstützung einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern konnte er den zweiten Band des Aschaffenburger Häuserbuches dann rund sechs Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes noch im Beisein des Oberbürgermeisters Dr. Willi Reiland der Öffentlichkeit vorstellen. Als endlich im Oktober 1994 der dritte Band veröffentlicht wurde, durfte Alois Grimm sein Krankenlager schon nicht mehr verlassen.
Aufopferungsvoll war nun die folgende Pflege des hilflosen Patienten in dessen Haus in der Heimstraße 19 durch seine Frau Anneliese geb. Lorenz, die beiden Töchter Barbara Rückert, Renate Högerle und den Sohn Gerhard - besonders an den langen Tagen und in den Nächten des letzten Winters. Am 15. Februar 1995 wurde diese Persönlichkeit, die sich im höchsten Maße um seine Heimatstadt verdient gemacht hat, von seinem Leiden in seiner gewohnten Umgebung im engsten Familienkreis von seinem Leiden erlöst.
Alois Grimm liegt auf dem Schweinheimer Friedhof begraben. Der „Fischergässer“ blieb seinem Aschaffenburg bis zuletzt auf`s Engste verbunden. Er fühlte sich stets mitverantwortlich für ihre Entwicklung und Gestaltung. Ihren Häusern aber hat er ein bleibendes und ein einmaliges Denkmal gesetzt. Der Geschichts- und Kunstverein ernannte den jahrzehntelangen Mitstreiter zu seinem Ehrenmitglied. Als Mitbürger war er überall geachtet und beliebt – ein Mann von Hilfsbereitschaft, Güte und Bescheidenheit.
Mit freundlicher Genehmigung durch Herrn Ernst Holleber